Jakob Offenbach - Ne kölsche Jung

Geburt und Elternhaus

Die Liebe zur Musik wurde Jakob Offenbach und seinen Geschwistern gewissermaßen in die Wiege gelegt: Bereits der Großvater Jakobs, der so genannte Schutzjude Juda Eberstadt (um 1750-1794), verdiente seinen Lebensunterhalt als Spielmann und Musiklehrer in Frankfurt a. M., wo er unter anderem für das Haus Rothschild gearbeitet haben soll. Jakobs Vater Isaac Juda Eberst (1779-1850) trat vor allem als philosophischer und musikalischer Förderer der jüdischen Gemeinde in seiner Heimatstadt Offenbach hervor, bevor er sich im Jahr 1802 in Deutz niederließ. Deutz war zu dieser Zeit eine eigenständige Stadt, in der es im Gegensatz zu Köln eine ausgeprägte jüdische Gemeinde gab.

Obwohl Isaac keine musikalische Ausbildung genossen, sondern ursprünglich das Buchbinderhandwerk erlernt hatte, zeichnete er sich als hervorragender Synagogensänger aus, der es zudem vermochte, zahlreiche Musikinstrumente zu spielen.
Auch der Hang zum Komponieren ist bereits bei Jakobs Vater Isaac belegt. Ein viel beachtetes Zeugnis dieser Kompositionstätigkeiten findet sich in einer von ihm vorgenommenen Neufassung der Hagadah, die im Jahr 1838 erschien.
Die „Hagadah“ ist eines der wichtigsten und bekanntesten Werke Isaac Offenbachs. Er erfüllte sich mit der deutschen Übersetzung den „lange gehegten Wunsche, die gemüthlichen Feierlichkeiten der beiden Seder-Nächte einem großen Theile unserer Glaubensgenossen zugänglicher zu machen“.
Das Historische Archiv verfügt über zwei Exemplare dieser Schrift (A 96 und A 97). Dem hier gezeigten Exemplar ist ein Brief des Domkapellmeisters Carl Leibl an Louis Simon, dem ehemaligen Besitzer dieser Hagadah, beigefügt. Im zweiten Exemplar findet sich die Kopie einer Widmung Isaacs an Giacomo Meyerbeer, datiert auf das Jahr 1842.

In Deutz lernte der „Offenbacher“ – wie ihn die Deutzer nannten – die Jüdin Marianne Rindskopf (1785-1840) kennen, die aus einer alt eingesessenen Deutzer Familie stammte und im Jahr 1805 Isaac Eberst – der seinen Nachnamen mittlerweile in „Offenbach“ umgewandelt hatte – heiratete. Nach der Heirat folgten stets im Abstand von 2 Jahren zehn Kinder, wobei Jakob das siebte Kind des Ehepaars war.

Zu Offenbachs Lebzeiten gab es des Öfteren Unstimmigkeiten über sein Geburtsjahr. An der Verbreitung dieser Unstimmigkeiten war Offenbach selbst beteiligt, machte er doch zum Teil falsche Angaben, oder er blieb eher vage. So schrieb er etwa dem französischen Journalisten Gustave Bourdin (1820-1870), der einige Angaben zu Offenbachs Leben für einen Artikel im „L’Autographe“ haben wollte, nur, dass er in Köln geboren sei, nicht aber an welchem Tag und in welchem Jahr. Offenbachs Freund Ernst Pasqué schreibt in seinen Erinnerungen „Aus Jacques Offenbach‘s Lehrjahren“, dass Offenbach selbst stets den 20. Juni 1822 als Geburtstag angab.
Die Geburtsurkunde belegt hingegen: Jakob Offenbach wurde am 20. Juni 1819 um 3 Uhr morgens als Kind des Musiklehrers Isaac Offenbach und seiner Frau Marianne, geb. Rindskopf, geboren.

Über die Beziehungen Jakobs zu seinen Geschwistern ist nur wenig bekannt. Vermutlich haben alle Geschwister die jüdische Elementarschule besucht, die nach dem Kauf des ehemaligen Klarissenklosters durch Samuel Benjamin Cohen neben einem kleinen Bethaus in der Glockengasse eingerichtet worden war. Nach dem Forscher Jacobo Kaufmann sollen auch Jakob und seine Geschwister in dieser Schule unterrichtet worden sein, da es für den Vater unerschwinglich war, seinen Kindern Privatunterricht erteilen zu lassen oder sie auf eine der wenigen christlichen Schulen zu schicken.

Als Lehrer der ersten jüdischen Schule fungierten unter anderem Hermann Levy Elkan (1765-1839), der Vater des berühmten Kölner Lithographen David Levy Elkan (1808-1865), und Joshua Schloß, der Vater des späteren Musikverlegers Michael Schloß (1823-1891) und der Sängerin Sophie Schloß (1822-1903). Sowohl David Levy Elkan als auch Michael und Sophie Schloß sollten zu guten Freunden und Weggefährten Jacques Offenbachs werden. Unterrichtet wurden in dieser Schule vor allem Hebräisch und Religion sowie Deutsch, Rechnen, Geografie und Vaterlandsgeschichte.

Was die musikalische Schulung anbelangt, ist davon auszugehen, dass diese nicht in der Elementarschule gelehrt wurde, sondern dass der Vater Isaac all seinen Kindern ein grundsätzliches Verständnis für Musik beibrachte und – sofern er das Talent eines Kindes erkannte – dieses auch zu fördern bereit war. Überhaupt spielte die Musik eine zentrale Rolle im Hause Offenbach. Schließlich machte sich Isaac nicht nur als Vorbeter und Komponist der jüdischen Gemeinde in Köln einen Namen, sondern er verdiente sein Geld zusätzlich als musikalischer Unterhalter und als Musiklehrer. Die Musik war für die Offenbachs somit zum einen Ausdruck ihrer religiösen Emanzipation. Zum anderen galt es für Isaac wie für seine Kinder ihren Lebensunterhalt mit Musik zu bestreiten. Schließlich war das Gehalt, das Isaac als Kantor der jüdischen Gemeinde verdiente, kaum ausreichend, um sich und seine Familie zu ernähren. Die ärmlichen Verhältnisse, mit denen Isaac und seine Familie in Köln zurechtkommen mussten, äußern sich noch 1838 in einem Brief Isaacs an den Rechnungsführer (Rendanten) der jüdischen Gemeinde, in dem er um einen Vorschuss seines Gehaltes bittet, da er sonst nicht in der Lage wäre, seinem Sohn Michel einen Anzug für seinen Bar Mizwa zu beschaffen.

Notenmanuskript "An Minna", 1831

Van Pelt Library der Universität Pennsylvania, Philadehia, USA
Quelle: Michel Güet et al, Jacques Offenbach. Von Köln über Paris in die Welt, 2019.

 

An Minna / Compa: par Jacques Offenbach 1831

Andante amoroso

Träum ich ist mein Auge trübe, Nebelts mir ums Angesicht
Mein-ne Minna geht vorüber, Meine Minna ken[n]t mich nicht

Von dem Sommerhute nicken stolze Federn mein Geschenk,
Schleifen die den Busen schmücken rufen Minna sei Gedenk,

rufen Minna sei Gedenk!

Von Isaacs Kindern scheinen Isabella und Julius zusammen mit Jakob die musikalisch talentiertesten gewesen zu sein. Schließlich war es dieses Trio, das zu Beginn der 1830er Jahre regelmäßig in Kölner Gaststätten auftrat und kleinere Hauskonzerte gab. Jakobs älterer Bruder Julius zeigte dabei eine ausgesprochene Begabung für das Violinspiel und komponierte im Jahr 1829 – mit 14 Jahren – sein vermutlich erstes Lied mit dem Titel „Lauren’s Gesang“. Jakob spielte bei diesen Gelegenheiten bereits das Instrument, das ihn im Jahr 1833 an das Pariser Konservatorium bringen sollte: Das Violoncello. Eigene Kompositionen Jakob Offenbachs sind schon für das Jahr 1831 belegt, was aus einem Familienalbum hervorgeht, das heute in der Van Pelt Library der Universität Philadelphia aufbewahrt wird. Interessanterweise unterschreibt Jakob Offenbach in diesem Album seine Komposition „An Minna“ bereits mit dem französischen Vornamen „Jacques“ Offenbach.

Jakobs musikalische Wurzeln

Isaac Offenbach scheint seine Kinder, allen voran Jakob und Julius, bewusst auf eine Karriere als Musiker oder Komponist vorbereitet zu haben. Eventuell schwebte Isaac vor, seine Söhne als Vorbeter in jüdischen Gemeinden unterzubringen, um ähnlich wie er einen Teil ihres Lebensunterhalts mit dieser Betätigung zu bestreiten. Der erste musikalische Einfluss Offenbachs überhaupt dürfte daher im Umfeld der jüdischen Liturgie, des synagogalen Gesanges und des jüdischen Brauchtums bestanden haben. Wie sehr sich dieses jüdische Element in Offenbachs musikalischer Entwicklung fortgetragen hat, und ob es überhaupt DIE jüdische Musik gegeben hat, sind derzeit Gegenstände intensiver Forschung. Auffällig sind etwa die Gesangseinlagen in den beiden Einaktern „Ba-Ta-Clan“ und „Die Insel Tulipatan“, die an diese spezielle Form liturgischen Gesangs erinnern.
Für das Verständnis der musikalischen Wurzeln Jakob Offenbachs dürfte jedoch von Bedeutung sein, dass seine Entwicklung Wege nahm, die vom Vater so sicherlich nicht vorhergesehen werden konnten. Isaac unterrichtete Jakob nämlich im Geigenspiel, nicht aber am Violoncello. Ganz im Gegenteil soll Isaac sehr darauf geachtet haben, dass keiner seiner Kinder von diesem Instrument überfordert werden könnte. Interessant ist somit die Frage, wie Jakobs Begabung für das Violoncello zum ersten Mal in den Mittelpunkt rückte. Es existieren zwei Versionen über das öffentliche Bekanntwerden seines außergewöhnlichen Talents für dieses Instrument.

Eine Version stammt von der jüngeren Schwester Offenbachs, Julia (Julie) Grünewald, die unmittelbar nach dem Tod ihres Bruders im Jahr 1881 ihre Erinnerungen aufschrieb. Nach ihrer Erzählung habe Jakob im Alter von sechs Jahren mit dem Violinunterricht begonnen und rasch Fortschritte gemacht, so dass er bereits mit acht Jahren in der Lage war, eigene kleine Kompositionen zu verfassen. Im Alter von neun Jahren sei dann seine Begabung auf dem Violoncello dem Vater zu Ohren gekommen, als dieser eines Tages nach Hause kam und Jakob dabei erwischte, wie er im Musizierzimmer Cello spielte. Jakob brachte sich demnach die Grundlagen des Violoncellospiels – ohne das Wissen seines Vaters – heimlich selbst bei.
Die zweite Version stammt von Jakob Offenbach selbst. In seiner Autobiographie schildert er die Offenbarung seines Cellospiels ein wenig anders: So sei seine Begabung nicht allein dem Vater daheim zu Ohren gekommen. Vielmehr verblüffte er im Alter von zehn Jahren nicht nur seinen Vater, sondern ein ganzes Publikum, als er eines Abends bei einem Haydn-Streichquartett den ferngebliebenen Cellisten fehlerfrei zu ersetzen vermochte. Die staunenden Zuhörer bedachten Jakob daraufhin mit tosendem Applaus.

Quelle: Hans Kristeller, Der Aufstieg des Kölners Jacques Offenbach, 1931.

Reproduktion einer Lithographie, Lithograph n. b.

Wie auch immer Jakob Offenbach auf sich und sein Cellospiel aufmerksam gemacht haben mag, einleuchtend dürfte sein, dass der noch junge Jakob ein für sein Alter außergewöhnliches Talent verfügte, welches sein Vater Isaac in jedem Fall weiter fördern wollte und ihm fortan Cellounterricht bei den besten Lehrern in Köln ermöglichte.
Zunächst erhielt Jakob Cellounterricht bei Joseph Alexander (1772-1840), einem Mitglied der 1827 gegründeten „Cölner Concert-Gesellschaft“. Alexander galt als passabler Cellist, der bereits im Jahr 1801 eine „Anleitung zum Violoncellospiel“ verfasste und eine Affinität für die Kompositionen des Cellisten Bernhard Romberg (1767-1841) hegte. So soll Offenbach laut dem Biographen Anton Henseler noch in den späten 1830er Jahren vor allem Stücke Rombergs gespielt haben. Ebenso flossen wohl auch Eigenkompositionen Alexanders in spätere Bühnenwerke Offenbachs ein.
Als zweiten Cellolehrer verpflichtete Isaac den wesentlich jüngeren Cellisten und Komponisten Bernhard Josef Breuer (1808-1877). Der entscheidende Vorteil bei Breuer lag vermutlich darin, dass er gut in der Kölner Musikszene vernetzt war, entstammte er doch – anders als Alexander – einer etablierten Kölner Musikerfamilie. So war er bereits im Alter von 12 Jahren Mitglied der „Musikalischen Gesellschaft“, und als 17-jähriger spielte er sofort in der neu gegründeten Kölner Domkapelle mit. Bernhard Breuer gilt unter vielen Forschern als jener Lehrer Offenbachs, der die kölnischen und karnevalistischen Einflüsse am meisten gefördert hat. Bestes Indiz dafür ist seine im Jahr 1832 verfasste Karnevalsoperette „Die Kölner in Paris“, die Offenbach mit Sicherheit ausgiebig studieren konnte. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass Breuer seinen Schüler bei zahlreichen Gelegenheiten mitnahm oder ihn sogar mitspielen ließ. Diese Erfahrungen und Beziehungen, die Jakob Offenbach in den engsten Kreis der wichtigsten Kölner Musiker brachte, sollten sich bei späteren Besuchen immer wieder als überaus nützlich erweisen.

Die Kölner Musikerszene hat die musikalische Entwicklung Jacques Offenbachs sicherlich mitgeprägt. Als weiterer Beleg dafür wird gerne die von Domkapellmeister Carl Leibl komponierte Ouvertüre „O Jerum Walzer“ herangezogen, deren Melodie Offenbach in seine Bouffonerie Musicale „Tromb-al-ca-zar, ou Les criminels dramatiques“ (1856) einbaute.
Neben der einen oder anderen musikalischen Inspiration wird Offenbach oft nachgesagt, er habe einige der später von ihm verwendeten Theaterstoffe und Aufführungsweisen aus Köln übernommen. Offenbach dürfte dabei sowohl Vorstellungen im Stadttheater wie auch im Hänneschen-Theater besucht haben. Vor allem die Karnevalsvorstellungen, namentlich die „Divertissementchen“ dürfte Offenbach gekannt haben. Schließlich wurden hier in Offenbachs Kindheits- und Jugendjahren zahlreiche Stoffe verarbeitet, die Offenbach später ebenfalls in seine Bühnenstücke hat einfließen lassen. Die Vermutung, dass das Kölner Hänneschen einen wichtigen Einfluss auf das Denken und den Humor Offenbachs nahm, ist somit schwer von der Hand zu weisen.

Kölnisches Stadtmuseum
Rheinisches Bildarchiv Nr. 104264
Elektronische Ressource: https://www.kulturelles-erbe-koeln.de/documents/obj/05208479

Reproduktion einer Lithographie, vermutlich von David Levy Elkan;

Elkan gestaltete unter anderem auch das Titelblatt der „Hagadah“ Isaac Offenbachs.

Ob sich die Übungsstunden für seine Sprößlinge auszahlten, überprüfte Isaac ab dem Jahr 1831 zunehmend in den Kölner Kneipen, Gaststätten und Salons. Als „Geschwister Offenbach“ traten Isabella (Piano), Julius (Violine) und Jakob (Cello) etwa im „Gymnicher Hof“, im Gasthaus Klütsch an der Wollküche, bei Jeandre am Neumarkt 3, in der Weinstube Welcker auf der Breitestraße und in der Kaffeegesellschaft der Witwe Sittmann im Kuhberg an der Schnurgasse auf.
Jakob und Julius müssen bei diesen Gelegenheiten ihr besonderes Talent ausdrücklich gezeigt haben. Jedenfalls schien Isaac Offenbach davon überzeugt zu sein, dass eine weitere Ausbildung der Beiden durch in Köln ansässige Musiklehrer nicht von Vorteil wäre. Die Entscheidung, Jakob und Julius nach Paris zu schicken, ist vermutlich seit Beginn der 1830er Jahre bereits in Issac entstanden.

Die Geschwister Offenbach, 3 Kinder von 10-12 und 14 Jahren, werden von heute an, den ganzen Winter hindurch, jeden Sonn- und Feiertag, so wie auch jeden Donnerstag eine musikalische Abendunterhaltung auf Piano-Forte, Violin und Violoncell geben, wobei sich durch gute Weine so wie auch durch kalte und warme Speisen bestens zu empfehlen läßt, Jeandre, im Gymnicher Hofe, Neumarkt Nro. 3.

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Heute den 9. Oktober werden Unterzeichnete, welche zu ihrer Ausbildung nach Paris zu reisen gesonnen sind, von mehren verehelichen Dilettanten sowohl, als vom städtischen Orchester gütigst unterstützt, ein Abschieds-Konzert im Saale des Herrn Horst zu geben sich beehren, und bitten ein kunstliebendes Publikum um gefälligen Zuspruch.
Gebrüder Offenbach.

Das letzte Konzert der „Gebrüder Offenbach“ vor ihrem Gang nach Paris fand am 9. Oktober 1833 statt, bevor sich Anfang November Isaac, Jakob und Julius auf den Weg an die Seine machten. Sein Gesellenstück gab Offenbach hingegen noch kurz vor seiner Abreise in Köln in den Druck: Die erste veröffentlichte Komposition, ein „Divertimento über Schweizerlieder“, widmete „Jacob“ Offenbach seinem zweiten Cellolehrer Bernhard Breuer.